1. Was ist Glycin
Glycin ist eine proteinogene Aminosäure. Offiziell gilt sie als nicht-essentiell, da der Körper sie zwar selbst herstellen kann, jedoch wird seit [1] Jackson et al. (1987) angenommen, dass sogar unter normalen Bedingungen ein erheblicher Mangel entstehen kann. Das konnten Meléndez-Hevia et al. (2009) in einem quantitativen Review Paper [2] nachweisen, indem sie die im Körper für Stoffwechselvorgänge notwendige Menge Glycin ermittelten. Diesen Bedarf stellten sie der aus der Nahrung aufgenommenen Menge und der selbst synthetisierten Menge an Glycin gegenüber.
Dabei kam heraus, dass ein 70 kg schwerer Mann pro Tag etwa 14,5 g Glycin benötigt. Davon nutzt er 1,5 g zu funktionellen Zwecken im Stoffwechsel, die restlichen 13 g werden zum Aufbau von strukturellen Proteinen wie z.B. Kollagen benötigt. Demgegenüber stehen 3 g selbst synthetisiertes Glycin und ca. 1,5 - 3 g Glycin aus der Nahrung. Somit hat dieser Mann ein Defizit von etwa 8,5-10 g. Daher muss Glycin eigentlich eher als konditionell-essentielle Aminosäure angesehen werden.
Konditionell bedeutet hier so viel wie "es kommt drauf an".
2. Wer braucht Glycin?
Worauf kommt es an?
Es gibt verschiedene Bedingungen, die eine Glycin Supplementation notwendig machen:
Vergleicht man die heutige Ernährung mit der unserer Vorfahren, dann fällt auf, dass wir deutlich weniger Glycin und Kollagen zu uns nehmen. Während wir damals noch das ganze Tier verwertet haben, inklusive Sehnen, Bänder, Bindegewebe, Innereien und Knochenmark, essen die Menschen heutzutage meist nur noch möglichst bindegewebsfreies Fleisch wie Filet, Hüftsteak oder Schnitzel. Der Rest des Tieres wird kaum gegessen. Warum ist es also gesünder, die "nicht so ansehnlichen Teile des Tieres" zu essen? Dafür müssen wir einen Blick auf eine weitere Aminosäure werfen:
Freund und Feind Methionin:
Methionin ist eine essentielle Aminosäure, das heißt sie muss über die Nahrung aufgenommen werden. Sie ist für einige wichtige Prozesse im Körper verantwortlich, allerdings fällt bei diesen Prozessen das Zellgift Homocystein an, welches der chemischen Struktur von Methionin ziemlich ähnlich ist. Bei der Proteinsynthese mischt sich das Homocystein ein und schädigt Proteine in ihrer Herstellung. Diese werden anschließend vom Immunsystem angegriffen. Die dadurch entstandenen Entzündungsreaktionen werden mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Weitere Zusammenhänge zwischen Homocystein und Parkinson sowie Demenzerkrankungen legen nahe, dass Methionin zu einem gewissen Maße zwar notwendig ist, das Stoffwechselprodukt Homocystein allerdings Probleme bereitet. Kein Methionin ist schlecht, zu viel Methionin ist ebenso schlecht. Das Optimum liegt in der goldenen Mitte [3, 4].
Wie lässt sich das Optimum also erreichen? Glücklicherweise gibt es hier eine Lösung: Glycin wirkt dem Methionin entgegen und mindert somit die Anhäufung des schädlichen Homocysteins [5]. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Methionin-Glycin-Ratio.
Sie gibt an, wie viel Methionin und wie viel Glycin ein Lebensmittel enthält. Eine Packung Magerquark hat eine Ratio von 1,5 : 1. Das sind 1,5 g Methionin und 1 g Glycin.
Wie bereits erwähnt, wollen wir einen Überschuss an Methionin vermeiden, daher brauchen wir pro Gramm Methionin, das wir mit der Nahrung zu uns nehmen, etwa 2 Gramm Glycin.
Es kommt darauf an: Solltest du viel Eiweiß zu dir nehmen, dann benötigst du schon mal Glycin, um das Methionin auszugleichen. Fällt es dir schwer, alle Teile eines Tieres zu essen, dann ist eine Supplementation von Glycin als freie Aminosäure empfehlenswert.
Vegetarier und Veganer haben es hier noch schwerer, da sie komplett auf tierische Quellen verzichten. Es gibt zwar pflanzliche Glycin Quellen, aber wer es schafft, damit den täglichen Bedarf von 11,5 g zu decken, ohne zu viele schlechte Omega-6-Fette zu sich zu nehmen, darf mir gerne sein Geheimnis verraten. Hier ein paar Beispiele von veganen Lebensmitteln, die Glycin enthalten: Kürbiskerne (864 mg Glycin /100 g), Haferflocken (82 mg Glycin /100 g), Erdnüsse (1668 mg Glycin /100 g), Linsen (1015 mg Glycin /100 g). Will man also rein aus Erdnüssen seinen Glycin Bedarf decken, dann benötigt man etwa 690 g Erdnüsse. Das macht dann aber auch etwa 100g reines Omega-6. Herzinfarkte sind da vorprogrammiert. Selbst mit Omega-3 können Veganer das niemals ausgleichen [6].
Es kommt darauf an: Du bist Veganer oder Vegetarier, dann benötigst du auf jeden Fall Glycin.
Körperliche Aktivität oder Verletzung
In oben genannter Studie [2] von Meléndez-Hevia et al. wurde der Bedarf eines durchschnittlichen 70 kg Mannes ermittelt. Man kann aber davon ausgehen, dass der Bedarf bei Sportlern noch um einiges höher ist, da sie ihren aktiven und passiven Bewegungsapparat enormen Belastungen aussetzen. Dabei kommt es zu Abnutzungserscheinungen und Verschleiß, welcher repariert werden muss. Stehen aber für den Aufbau und die Reparatur nicht genügend "Baumaterial" zur Verfügung, kann damit gerechnet werden, dass diese Strukturen irgendwann meckern und den Geist aufgeben. Das Gleiche gilt, wenn man sich gerade von einer Verletzung oder sogar einer Operation erholen möchte [11].
Es kommt darauf an: Du bist Sportler und möchtest sicherstellen, dass du auch langfristig deinem Sport nachgehen kannst? Dann ist Glycin eine super Altersvorsorge. Auch nach Verletzungen und Operationen kann Glycin eine schnelle Genesung fördern.
3. Was kann Glycin?
Glycin ist an sehr vielen Stoffwechselvorgängen beteiligt. Es ist verantwortlich für den
Aufbau oder die Bildung von
Strukturproteinen im Körper: Kollagen
eisenhaltigen Transportproteinen im Körper: Hämoglobin der roten Blutkörperchen
Kreatin
Glutathion (Antioxidant)
Gallensäure (Fettverdauung)
Weitere Vorteile von Glycin liegen darin, dass es
beruhigend auf das ZNS wirkt,
Entzündungsreaktionen mindert und somit Zellen schützt,
an der Heilung des Darms beteiligt ist und die Barrierefunktion verbessert,
Alterungsprozesse in-vitro umkehrt,
und in Tierstudien [17, 18] wurde nachgewiesen, dass es in einigen Organismen die Lebensspanne verlängert. Es kann angenommen werden, dass dies beim Menschen ebenso der Fall ist, da in den sog. "Blue-Zones", das sind die Orte, in denen die Menschen über 100 Jahre alt werden, sich vor allem Methionin-arm bzw. Glycin-reich ernähren.
3. Einnahme
Bezüglich der Arbeit von Meléndez-Hevia [2] kann angenommen werden, dass eine Supplementation von 10 g Glycin pro Tag sinnvoll ist. Zudem kann es von Vorteil sein, zu jedem Gramm Methionin 2 g Glycin zusätzlich zu sich zu nehmen, damit das ansonsten anfallende Zellgift Homocystein verhindert wird [19].
Wie viel Gramm Methionin in Lebensmitteln enthalten ist, lässt sich ganz leicht im Internet recherchieren und in die täglichen Routinen einbauen.
Ich selbst bin mit dem Glycin von Edubily* sehr zufrieden.
4. Fazit
Glycin ist eindeutig eine unterschätzte Aminosäure, die meiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Vor allem die heutige Ernährungsweise sorgt dafür, dass schnell ein Glycin-Defizit erreicht wird. Die Menschen in den Blue-Zones machen unbewusst das richtig, was unsere Gesellschaft verlernt hat. Sie verwerten das ganze Tier: Knochen, Sehnen, Bänder, Bindegewebe, Rückenmark, Innereien und Haut stehen dort regelmäßig auf dem Speiseplan, was zu ihrem durchschnittlich längerem Leben führen könnte [20]. Eine einfache Möglichkeit, mehr Glycin zu sich zu nehmen, ist eine Knochenbrühe. Ansonsten ist eine Supplementation mit der freien Aminosäure empfehlenswert. Betrachtet man die zahlreichen Stoffwechselvorgänge, an denen Glycin beteiligt ist, wird deutlich, dass ein Defizit dieser Aminosäure eben jene Funktionen im Körper negativ beeinträchtigt. Insbesondere wenn der Bedarf zum Beispiel durch körperliche Betätigung stark steigt. Daher profitieren vor allem Sportler von Glycin. Sie können schneller regenerieren, Entzündungen vorbeugen und gleichzeitig in ein langes, sportreiches Leben investieren.
5. Quellen
[1] Jackson, A. A., Badaloo, A. V., Forrester, T., Hibbert, J. M., & Persaud, C. (1987). Urinary excretion of 5-oxoproline (pyroglutamic aciduria) as an index of glycine insufficiency in normal man. The British journal of nutrition, 58(2), 207–214. https://doi.org/10.1079/bjn19870088
[2] Meléndez-Hevia, E., De Paz-Lugo, P., Cornish-Bowden, A., & Cárdenas, M. L. (2009). A weak link in metabolism: the metabolic capacity for glycine biosynthesis does not satisfy the need for collagen synthesis. Journal of biosciences, 34(6), 853–872. https://doi.org/10.1007/s12038-009-0100-9
[3] Lee, B. C., Kaya, A., & Gladyshev, V. N. (2016). Methionine restriction and life-span control. Annals of the New York Academy of Sciences, 1363, 116–124. https://doi.org/10.1111/nyas.12973
[4] McIsaac, R.S., Lewis, K.N., Gibney, P.A. and Buffenstein, R. (2016), From yeast to human: exploring the comparative biology of methionine restriction in extending eukaryotic life span. Ann. N.Y. Acad. Sci., 1363: 155-170. https://doi.org/10.1111/nyas.13032
[5] Miller, R. A., Harrison, D. E., Astle, C. M., Bogue, M. A., Brind, J., Fernandez, E., Flurkey, K., Javors, M., Ladiges, W., Leeuwenburgh, C., Macchiarini, F., Nelson, J., Ryazanov, A. G., Snyder, J., Stearns, T. M., Vaughan, D. E., & Strong, R. (2019). Glycine supplementation extends lifespan of male and female mice. Aging cell, 18(3), e12953. https://doi.org/10.1111/acel.12953
[6] Ostermann, Frauke (2018). Glycinhaltige Lebensmittel. https://blog.lykon.com/de/artikel/gesunde-lebensmittel/glycin-haltig/
[7] INAGAWA, K., HIRAOKA, T., KOHDA, T., YAMADERA, W., & TAKAHASHI, M. (2006). Subjective effects of glycine ingestion before bedtime on sleep quality. Sleep and Biological Rhythms, 4(1), 75–77. https://doi.org/10.1111/j.1479-8425.2006.00193.x
[8] YAMADERA, W., INAGAWA, K., CHIBA, S., BANNAI, M., TAKAHASHI, M., & NAKAYAMA, K. (2007). Glycine ingestion improves subjective sleep quality in human volunteers, correlating with polysomnographic changes. Sleep and Biological Rhythms, 5(2), 126–131. https://doi.org/10.1111/j.1479-8425.2007.00262.x
[9] FUKADA, S., MORITA, T., & SUGIYAMA, K. (2008). Effects of Various Amino Acids on Methionine-Induced Hyperhomocysteinemia in Rats. Bioscience, Biotechnology, and Biochemistry, 72(7), 1940–1943. https://doi.org/10.1271/bbb.70833
[10] Fukada, S., Shimada, Y., Morita, T., & Sugiyama, K. (2006). Suppression of methionine-induced hyperhomocysteinemia by glycine and serine in rats. Bioscience, Biotechnology, and Biochemistry, 70(10), 2403–9. https://doi.org/10.1271/bbb.60130
[11] Vieira, C.P., Oliveira, L.P.D., Guerra, F.D.R., Almeida, M.D.S.D., Marcondes, M.C.C.G. and Pimentel, E.R. (2015), Glycine Improves Biochemical and Biomechanical Properties Following Inflammation of the Achilles Tendon. Anat. Rec., 298: 538-545. https://doi.org/10.1002/ar.23041
[12] Babraj, J. A., Smith, K., Cuthbertson, D. J., Rickhuss, P., Dorling, J. S., & Rennie, M. J. (2005). Human Bone Collagen Synthesis Is a Rapid, Nutritionally Modulated Process. Journal of Bone and Mineral Research, 20(6), 930–937. https://doi.org/10.1359/JBMR.050201
[13] Bello, A. E., & Oesser, S. (2006). Collagen hydrolysate for the treatment of osteoarthritis and other joint disorders:a review of the literature. Current Medical Research and Opinion, 22(11), 2221–2232. https://doi.org/10.1185/030079906X148373
[14] Benito-Ruiz, P., Camacho-Zambrano, M. M., Carrillo-Arcentales, J. N., Mestanza-Peralta, M. A., Vallejo-Flores, C. A., Vargas-López, S. V., … Zurita-Gavilanes, L. A. (2009). A randomized controlled trial on the efficacy and safety of a food ingredient, collagen hydrolysate, for improving joint comfort. International Journal of Food Sciences and Nutrition, 60(sup2), 99–113. https://doi.org/10.1080/09637480802498820
[15] González-Ortiz, M., Medina-Santillán, R., Martínez-Abundis, E., & von Drateln, C. R. (2001). Effect of glycine on insulin secretion and action in healthy first-degree relatives of type 2 diabetes mellitus patients. Hormone and metabolic research = Hormon- und Stoffwechselforschung = Hormones et metabolisme, 33(6), 358–360. https://doi.org/10.1055/s-2001-15421
[16] Gannon, M. C., Nuttall, J. A., & Nuttall, F. Q. (2002). The metabolic response to ingested glycine. The American journal of clinical nutrition, 76(6), 1302–1307. https://doi.org/10.1093/ajcn/76.6.1302
[17] Lee, B.C., Kaya, A. and Gladyshev , V.N. (2016), Methionine restriction and life‐span control. Ann. N.Y. Acad. Sci., 1363: 116-124. https://doi.org/10.1111/nyas.12973
[18] McIsaac, R.S., Lewis, K.N., Gibney, P.A. and Buffenstein, R. (2016), From yeast to human: exploring the comparative biology of methionine restriction in extending eukaryotic life span. Ann. N.Y. Acad. Sci., 1363: 155-170. https://doi.org/10.1111/nyas.13032
[19] Taeger Frank (2018). Glycin - die unterschätzte Aminosäure. https://www.taegerfitness.de/glycin/
[20] Paleo Leap. (2021). Why eating the odd bits improves your health. https://paleoleap.com/eating-odd-bits-improves-health/
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