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AutorenbildBenjamin Gehrmann

Trainingsprinzipien und ihre Anwendungen im Fitnesstraining - Teil 1 Reizstufenregel

Aktualisiert: 2. März 2023

In dieser Blog-Reihe soll es um einige Trainingsprinzipien der Trainingslehre gehen und wie dieses Wissen im fitnessorientierten Kraftsport angewandt werden kann.

Im ersten Teil wird die Reizstufenregel erklärt, sowie zwei wesentliche Faktoren zur Belastungssteuerung genauer betrachtet, die Dir helfen können, die richtige Trainingsintensität für Dein individuelles Ziel zu finden.


Inhalt


"Je intensiver das Training, desto größer die Gains!" und "Du solltest stets die am härtesten trainierende Person im Gym sein!"


So könnte eine Unterhaltung zwischen zwei Gym-Bros klingen, die eigentlich keine Ahnung haben, wie sie richtig trainieren. Neben dieser "No-pain-no-gain-Fraktion gibt es aber auch die Mobility-Gurus, die neben Foam-Rolling, Glute-Activation und "dem Lösen verklebter Faszien" keine Zeit mehr für das eigentliche Training haben und somit wertvolles Trainingspotenzial verschwenden.

Auch ich erwische mich regelmäßig dabei und trainiere an "Rest-Days" mit zu hoher Intensität. "Active rest ist doch immer gut!" Und gerade in diesem Moment, als ich die diesen Artikel schreibe, habe ich eine Wärmflasche im Rücken, weil ich mir im Training einen Hexenschuss zugezogen habe. Wie und warum? Dazu später mehr. Jetzt schauen wir uns zunächst einmal die wissenschaftliche Lage dazu an, denn nicht jeder Trainingsreiz führt sofort zu dem gewünschten Erfolg. Zwei wesentliche Kriterien, die den Erfolg eines Trainings beeinflussen, sind die Trainingsintensität und das Trainingsvolumen.


1. Trainingsintensität

Ein wichtiger Faktor im Training ist die Trainingsintensität oder auch der "Anstrengungsgrad" [1] einer Übung. So kann zum Beispiel eine Kniebeuge mit dem eigenen Körpergewicht für ambitionierte Anfänger eine anspruchsvolle Übung sein, während sie für erfahrenere Athleten kein bisschen anstrengend ist. Bei einem Blick in die Literatur kommt man auf der Suche nach Intensität im Krafttraining nicht um den Begriff des "one repetition maximum" (1 RM) herum. Das 1 RM entspricht der Maximalkraft (100%), also der höchsten Kraft, die "das neuromuskuläre System bei einer maximalen willkürlichen Kontraktion entfalten kann" [2].

Zur Trainingssteuerung ist es also sinnvoll mit diesem 1 RM zu rechnen. Je nach Literatur lassen sich damit bestimmte Wiederholungszahlen ableiten:



Die Wissenschaftler haben untersucht, wie viele Wiederholungen ihre Athleten bei einem bestimmten Prozentsatz des 1 RMs maximal bewältigen können. So schafften die Sportler beispielsweise ca. zehn Wiederholungen im Bereich zwischen 70-75 % ihres Maximalgewichts. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass die Tabellen ungenauer werden, je höher die Wiederholungen sind.


2. Trainingsvolumen

Mit den bloßen Wiederholungszahlen, abhängig von der jeweiligen Intensität, lässt sich allerdings noch kein komplettes Training steuern. Hier kommt eine weitere Komponente ins Spiel: Das Trainingsvolumen. Dieses ergibt sich aus dem Produkt der Sätze und der Wiederholungszahl, beziehungsweise der Anzahl der insgesamt ausgeführten Wiederholungen.


Trainingsvolumen = Sätze x Wiederholungen

Bsp.: Trainingsvolumen = 5 Sätze x 5 Wiederholungen = 25


Nun macht es aber einen Unterschied, ob jemand im eben genannten Beispiel diese 25 Wiederholungen mit dem eigenen Körpergewicht bewältigt oder dabei eine Langhantel mit insgesamt 100 kg auf dem Rücken hat. Aus diesem Grund ist es ratsam, diese Last ebenso mit einzuberechnen. Daraus ergibt sich das Trainingsvolumen in Abhängigkeit von der Gesamtlast, die bewegt wurde [6].


Trainingsvolumen = Sätze x Wiederholungen x Gewicht

Bsp.: Trainingsvolumen = 5 Sätze x 5 Wiederholungen x 100 kg = 2500 kg


Optimalerweise wird nun versucht, dass Training progressiv zu steigern, Das ist ein Trainingsprinzip, das gesondert behandelt werden muss, aber im Prinzip geht es darum, dass die Muskeln sich an das Training anpassen und im nächsten Training einen größeren Trainingsreiz benötigen, damit sie sich weiterhin an die Belastung adaptieren. An dieser Stelle kommt das Prinzip des trainingswirksamen Reizes ins Spiel.


3. Das Prinzip des trainingswirksamen Reizes

Die Reizstufenregel


Wilhelm Roux [7] teilte Reize, die auf einen Organismus wirken, in vier verschiedene Stufen ein:

  • Der unterschwellige Reiz, der zu keiner Anpassung führt und nicht zur Leistungssteigerung geeignet ist,

  • der schwach überschwellige Reiz wirkt funktionserhaltend,

  • der mittlere bis starke überschwellige Reiz löst die Superkompensation aus physiologische und anatomische Anpassungen finden statt,

  • zu starke Reize schädigen das System und das Leistungsniveau sinkt (Übertraining).

Wichtig ist zunächst zu verstehen, dass erst ab Überschreiten einer gewissen Schwelle eine Anpassung an den äußeren Reiz stattfindet. Reize unter dieser Schwelle bleiben wirkungslos. Erst ab der zweiten Stufe haben Reize einen positiven Trainingseffekt. Ein optimales Training findet auf Stufe drei statt und ab einer individuellen Obergrenze beginnt die Stufe vier, in der das System überlastet werden kann und diese Reize sogar die Funktion schädigen können. Ich sage nicht, dass das Überschreiten der eigenen Grenzen auf Stufe vier nicht zum Training gehört. Das muss natürlich auch mal sein, jedoch sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass sich ab einem bestimmten Punkt der positive Trainingseffekt umkehrt und letztendlich sogar schaden kann. Diesen Punkt nennt man auch den "Point of Diminishing Returns."

Letztlich ist noch erwähnenswert, dass sich sowohl der Schwellenwert als auch die individuelle Obergrenze nach oben verschieben, je fortgeschrittener ein Athlet ist.



4. Blick in das eigene Training

Aber wie wendet man dieses Wissen nun auf das eigene Training an? Woher weiß ich, welche Intensität für mich geeignet ist? Dafür werfen wir mal einen Blick in mein Training, denn hätte ich dieses Trainingsprinzip richtig angewandt, dann hätte ich mir vermutlich keinen Hexenschuss zugezogen.

Auf dem Trainingsplan stand:


EMOM x 10

3 Deadlifts with 10 RM from last week


Zur Erklärung:

"EMOM" steht für "Every minute on the minute" und Aufgabe war es, bei Beginn jeder Minute drei Wiederholungen im Kreuzheben zu absolvieren. Und zwar mit dem Gewicht, was ich in der Woche zuvor für 10 Wiederholungen geschafft habe. Das waren 10 Wiederholungen mit 175 kg und dann gefolgt von 3 x 5 Wiederholungen mit demselben Gewicht.


Zur Intensität:

Nach obiger Tabelle entspricht das 10 RM etwa 70 bis 75 % des 1 RM. Das würde bedeuten, mein 1 RM läge bei ca. 233 bis 250 kg. Da bin ich mit schlappen 212 kg noch weit entfernt. Zumal mein Trainingsfokus zur jetzigen Zeit nicht im Kreuzheben liegt und die letzten regelmäßigen Kreuzhebe-Einheiten lange her sind. Mein eigentliches 10 RM, wenn ich von 212 kg ausgehe, liegt bei 148 bis 159 kg. Ich hatte wohl einen guten Tag, bin aber auch generell eher der Ausdauer-Typ und habe einen (zu) starken Willen.


Fazit 1: Die Intensität war für das Workout zu hoch gewählt.


Zum Volumen:



Vergleicht man die beiden Trainingseinheiten miteinander, dann wird deutlich, dass in dem zweiten Workout dem Körper eine Steigerung von 20% abverlangte wurde. Und das mit einem Gewicht, das ohnehin schon zu hoch war. Spätestens hier sollten die Alarmglocken läuten. Mal abgesehen von der zeitlichen Komponente, die bei Workout 2 deutlich knapper bemessen war.


Fazit 2: Eine Steigerung im Trainingsvolumen um 20% ist bescheuert.


Zur Reizstufenregel:

Würde man die beiden Trainingseinheiten in die Reizstufenskala einordnen, dann wäre Workout 1 deutlich auf der dritten Stufe gelandet. Ein überschwelliger, starker Reiz. Perfekt zur Superkompensation. Subjektiv betrachtet, war ich danach schon ziemlich fertig, auch wenn der Muskelkater sich in Grenzen hielt. Der Körper war also in der Lage, ein Trainingsvolumen von 4375 kg, verteilt auf ca. 20 min zu vertragen.

Das zweite Workout hingegen war deutlich auf der letzten Stufe anzusiedeln. Ein überschwelliger, zu starker Reiz, der das System schädigt. Das hat sich bei der 25. Wiederholung bemerkbar gemacht, als im unteren Rücken die Spannung verloren ging und ich mir so einen Hexenschuss (med. Lumbago) zugezogen habe. Ich habe den oben bereits erwähnten "Point of Diminishing Returns" überwunden und war so sehr in der roten Zone, dass der Körper gesagt hat: "Nope, ich mache jetzt erstmal komplett dicht, bevor der sich noch komplett kaputt schießt!"


Fazit 3: Kenne deine Grenzen - Wie viel Volumen regenerierst du pro Zeiteinheit?


Fazit 4: Niemals mit hoher Intensität und hohem Volumen trainieren.


Was hätte man also stattdessen tun sollen?

Bestehen Zweifel, welches Gewicht in einem Workout richtig ist, dann kann man sich am Trainingsvolumen des vorangegangenen Trainings orientieren. Dabei sollte aber die zeitliche Komponente entweder konstant gehalten oder dementsprechend berücksichtigt werden und eine eventuelle Vorermüdung der Arbeitsmuskulatur mit einberechnet werden. Ebenso ist es ratsam, die Trainingsintensität stets im Auge zu behalten. Nur weil man einmalig 10 Wiederholungen mit einem bestimmten Gewicht absolviert hat, kann man damit noch lange nicht auf das 1 RM schließen. Zumal, wie schon erwähnt, bei großen Wiederholungszahlen diese Wiederholungs-Tabellen ungenau werden. Beispiele für Alternativen habe ich nachfolgend zusammengefasst.


Möglichkeit 1:

Das richtige 10 RM wählen (~ 70-75% vom 1 RM). Das wären etwa 155 kg gewesen. Im zehn-minütigen EMOM käme man dann auf ein Volumen von 4650 kg, was eine Steigerung von 6 % ausgemacht hätte.


Möglichkeit 2:

Pausenzeit verlängern, aber Gewicht beibehalten: E2MOM: Alle 2 Minuten dreimal Kreuzheben mit 175 kg. Aber auch hier kein übertriebenes Volumen von +20% anstreben, sondern lieber an realistischen 5% orientieren.


5. Welche Stufe ist für welches Training geeignet?

Wie wir bereits gelernt haben, verschiebt sich der Schwellenwert je nach Trainingszustand des Athleten. Deswegen sind diese Empfehlungen logischerweise von Person zu Person unterschiedlich und nicht leicht zu verallgemeinern. Dennoch lässt sich je nach subjektiven Empfinden diese Einteilung in vier Stufen treffen.

Die erste Stufe entspricht eher der Intensität eines gemütlichen Spaziergangs. Der Körper wird sich nicht an den Waldspaziergang anpassen, aber die Muskulatur wird durchblutet. Deswegen ist diese Stufe zur aktiven Wiederholung geeignet oder aber, wenn die Technik einer Übung gerade erst erlernt wird. Wiederholungen mit einer Technikstange oder nur einer PVC-Pipe können auch hier eingeordnet werden. Ebenso leichtes Mobility-Training ist möglich.

In der zweiten Stufe kommt man schon eher ins Schwitzen. Ein Training hier reicht aus, um den aktuellen Trainingszustand zu erhalten. Ein Deload der Intensität entspricht dem Training auf dieser Stufe.

Der optimale Trainingsbereich befindet sich auf der dritten Stufe. Hier wird die Muskulatur gezielt ermüdet, Glykogen-Reserven in der Muskulatur geleert, um eine Superkompensation auszulösen. Es finden also physiologische und anatomische Anpassungen statt. Bei einem Deload des Volumens wird die Gesamtlast reduziert, aber dennoch mit hoher Intensität trainiert, weswegen dies der dritten Stufe zuzuordnen ist.

Das Training in der vierten Stufe sollte wenn möglich vermieden werden, gehört aber vor allem im Wettkampfbereich ebenso dazu. Darauf muss der Körper vorbereitet werden. Diese Leistungsspitzen sollten aber mit den folgenden Trainingseinheiten aufgefangen werden, wie zum Beispiel durch einen Deload. Wird allerdings zu viel auf dieser Stufe trainiert, führt dies zu einem Absinken der Leistung und kann langfristig zur Schädigung der Funktion führen.


6. Fazit:

Oftmals wird im Training das Hauptaugenmerk nur auf die Trainingsintensität gerichtet und das Trainingsvolumen geriet in Vergessenheit. Jedoch sind beides wichtige Komponenten, wenn es darum geht, sein Training richtig zu steuern und eine langsame, aber stetige Progression zu erreichen. Hier kann es helfen, die Reizstufenregel stets im Blick zu behalten. Ich hoffe, die Reizstufenregel hilft Dir in Zukunft dabei, die richtige Intensitätsstufe für dein Trainingsziel zu finden. Letztendendes bleibt noch zu sagen: Rückschläge im Training gehören dazu. Dafür ist das Training da. Es ist nur wichtig daraus zu lernen.


7. Quellen

[1] Leistungskurs Sport (2021). Belastungsmerkmale. Zugriff am 07. Januar 2021 unter: http://www.sportunterricht.de/lksport/belmerkmale.html


[2] Güllich, A. & Schmidtbleicher, D. (1999). Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 50 (7/8), 223-234, zuletzt aufgerufen am 12.01.2021 unter: https://www.researchgate.net/publication/228118054_Struktur_der_Kraftfahigkeiten_und_ihrer_Trainingsmethoden


[3] Brzycki, Matt (1998). A Practical Approach To Strength Training. McGraw-Hill. ISBN978-1-57028-018-4.


[4] Baechle TR, Earle RW, Wathen D (2000). Essentials of Strength Training and Conditioning, 2: 395-425.


[5] Dos Remedios R (2007). Men’s Health Power Training, Rodale Inc. 23.


[6] Christian Roth (2019). Muskuläre Hypertrophie: Volumen Vs. Intensität - Eine Tiefenanalyse. Zuletzt aufgerufen am 13. Januar 2021 unter: https://patreon.aesirsports.de/hypertrophie-volumen-vs-intensitaet-tiefenanalyse/


[7] Wilhelm Roux: Gesammelte Abhandlungen über die Entwicklungsmechanik der Organismen. Band I: Funktionelle Anpassung. Wilhelm Engelmann, Leipzig, 1895.



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